Die Bedürfnisse des Pferdes achten [3/3] – im Training

Normalerweise nutze ich das Wort Training im Pferdekontext nicht mehr so gerne, da vielerlei Assoziationen dazu in den Köpfen von uns allen spuken. Lass uns mögliche negative Gedanken einmal beiseite schieben und das Training als schön verbrachte gemeinsame Zeit betrachten.

Wie auch schon in den beiden vorherigen Artikeln der Reihe, sollte noch einmal betont werden, dass die Bedürfnisse unserer Pferde und auch unsere eigenen absolut individuell sind. Glücklicherweise gibt es mittlerweile ein so vielfältiges Angebot an Trainingskonzepten und Möglichkeiten, gemeinsam Zeit zu verbringen, dass auf diese Individualität eingegangen werden kann. Und damit sind wir eigentlich schon mittendrin in dem Prozess der Suche nach unseren eigenen Bedürfnissen und denen unserer Pferde.

Sehr häufig haben wir Menschen den Kontakt zu unseren Bedürfnissen verloren. So geht es auch vielen Pferden, wenn sie in ihrer Vergangenheit wenig bis gar keinen Raum dafür bekommen haben.

Es beginnt schon bei dem Bedürfnis nach einer artgerechten – oder zumindest artnahen – Haltungsform. Für mich ist dies ein Teil der Basis für das gemeinsame Training. Bei guter Haltung sind Pferde nicht auf das Zusammensein mit uns Menschen angewiesen. All ihre existenziellen Grundbedürfnisse sind befriedigt und ihre Umwelt und die Herde, in der sie leben, bieten genügend Anregungen für ein entspanntes und friedliches Pferdeleben. Wenn wir Zweibeiner nun in diese Harmonie hineinkommen, ist es unsere Verantwortung dafür zu sorgen, dass auch die körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse unserer Pferde gesehen werden.

Janine Ulbrich Fotografie

Auf der körperlichen Ebene möchten sich Pferde als Bewegungstiere ausleben können. Sie sind geschaffen für Bewegung, tun ihrem Körper natürlicherweise aber keine dauerhaften und monotonen Abläufe an, die zu muskulären Verspannungen führen oder anderweitig den Verschleiß fördern. Wollen wir uns also zusammen mit unseren Pferden bewegen oder sie gar danach fragen, ob sie uns hin und wieder durch die Welt tragen würden, sollten unserer Verantwortung an dieser Stelle gerecht werden. Eine sinnvolle Gymastizierung kann sehr kreativ gestaltet werden und es gibt genügend Wissen, Leitfäden und Methoden, die sich über mehrere Generationen bewährt haben. Ein Pferd, das auf körperlicher Ebene über sich selbst hinauswachsen darf, entdeckt solch stolze Bewegungen in sich, dass sie mir eine Gänsehaut verpassen. Man kann die Freiheit, den Anmut und die Leichtigkeit in einer solchen Bewegung spüren. Das Facettenreichtum der gymnastizierenden Arbeit erscheint endlos. Mittlerweile gehören für mich, neben der akademischen Bodenarbeit, auch alternative Selbsterfahrungsmöglichkeiten wie Wippen, Balance Pads, Matten und das Targettraining in die Kiste der Gymnastizierung, da sie, sofern sie auf der Basis des zuvor erwähnten Fachwissens genutzt werden, die gesunderhaltende Arbeit unglaublich bereichern.

Diese Verantwortung für den Körper unserer Pferde kann sich schnell zu einer Last entwickeln, weshalb ich unbedingt darauf hinweisen möchte, dass es auch hier nicht den einen Weg gibt, den jeder beschreiten muss. Wir müssen alle gar nichts. Aber wir dürfen unsere gemeinsame Zeit schön gestalten, es uns leicht machen und gemeinsam genießen. Trotzdem ist es mir eine Herzensangelegenheit, an die nötige Ernsthaftigkeit und Neugier in dir zu appelieren, um dies nicht versehentlich auf den Kosten des Pferdes zutun. Du lebst vermutlich auch für die Faszination, die Pferde in uns Menschen auslösen können. Und es ist großartig, wenn du Pferden ein tolles Zuhause ermöglichst, in dem sie einfach Pferd sein dürfen. Dann darfst du dich von dem Gymnastizierungsgedanken frei machen und sie einfach glückselig beim Pferdsein beobachten. Sobald du jedoch auf Kreisbahnen mit deinem Pferd arbeitest, dessen Bewegungen mehr oder weniger manipulierst oder dich gar auf dessen Rücken setzen möchtest, darfst du dich neugierig auf die Suche machen, wie du ihm dabei helfen kannst, dies bei voller Gesundheit erleben zu dürfen. Ließ Bücher, fahr zu Seminaren, schaue dir Videos an oder mache Onlinekurse mit. Ganz egal was du tust, merke dir die goldene Regel: Hinterfrage alles und lass dein Pferd den Maßstab für dessen eigenen Körper setzen. Nur, wenn wir den Pferden ermöglichen, selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden, werden wir in den Genuss kommen, ein echtes JA von unseren Pferden zu spüren.

Janne Martens Fotografie

Neben der körperlichen Gesundheit, die natürlich auch durch eine klassische Gesundheitsversorgung umsorgt werden möchte, hat das Pferd weitere wichtige Bedürfnisse, denen wir auch im Training begegnen werden. Auf der geistigen Ebene möchte ich den Verstand des Pferdes ansprechen und dessen Bedürfnis nach einer liebevollen Kommunikation und durchdachten, authentischen Pädagogik. Pferde möchten im Zusammensein mit Menschen gefordert und gefördert werden. Und das in ihrem völlig individuellen Maße. Was dir dabei helfen wird ist, die Persönlichkeit deines Pferdes immer besser kennenzulernen.

Was macht euch gemeinsam Spaß?

Bei welcher Aktivität strahlen die Augen deines Pferdes?

Wie sprecht ihr miteinander?

Wir Menschen haben automatisch die Rollen von Schüler und Lehrer, wenn wir mit unseren Pferden in Verbindung treten. Gleichermaßen erfüllen auch die Pferde mindestens diese beiden Rollen. Die Kunst ist es, bewusst zwischen den Rollen wechseln zu können und in jeder dieser Rollen eine dankbare und liebevolle Grundhaltung zu haben – dir selbst und auch deinem Pferd gegenüber.

Janne Martens Fotografie

Die Seele des Pferdes ist ein gleichzeitig fragiler und dennoch faszinierend starker Teil des Ganzen und auch hier gibt es Bedürfnisse, die wir achten können. Unsere Pferde sind fühlende Wesen und sehnen sich danach, dass wir ihnen wirklich begegnen. Fernab von dem, was unsere Augen sehen und dem, was unser Verstand bewertet, ist ein Wesen, welches gesehen werden möchte.

Wer steht da also vor dir?

Wer bist du, wenn du deinem Pferd begegnest?

Wen sieht dein Pferd in dir?

Ich meine keine sichtbare Eigenschaft und auch keine Verhaltensweisen. Wir sind nicht was wir tun, denn jegliche Handlungsmuster können überwunden, unterbrochen oder gar manipuliert werden. Das macht uns im Kern aber nicht zu jemand anderem.

Wenn wir uns gedanklich wirklich bis zum Kern heranwagen, werden wir feststellen, dass da eine Verbindung zwischen unseren Seelen besteht, die mit weltlichen Worten nicht zu beschreiben ist. Dieser goldene Faden zwischen uns ist, was unseren Kern und den unserer Pferde am besten beschreibt. Wir sind die Fusion von Einheit und Freiheit. Wir sind verbunden und dennoch niemals gefangen darin. Wir sind urteilsfrei und voller Liebe für die Welt. Und zweifelsohne ist dieses Urgefühl oftmals tief vergraben unter allem, was wir uns im Laufe des Lebens so angeeignet haben. Das ist okay, denn in diesem Leben sind wir als Menschen oder eben als Pferde hier und es ist in Ordnung weltliche Erfahrungen zu machen. Trotzdem sehnt sich jede Seele nach den Momenten, in denen das Weltliche ausgeblendet werden darf. In denen wir uns wieder vollkommen und heil fühlen. Das ist auch, worum dein Pferd dich von Zeit zu Zeit bittet. Glaube mir, es wird auch dir guttun.

Die große Kunst ist es, diese (und all die weiteren) Bedürfnisse unserer Pferde als Ganzes zu betrachten und ihnen Raum zu geben. Es bedarf einer Reduktion von Erwartungen und der Rückbesinnung auf das, was uns in Kindertagen so sehr an diesen magischen Wesen fasziniert hat. Das war sicherlich kein Erfolg, kein Gefühl der Macht oder Kontrolle und auch kein innerer Druck, der uns erzählt, dass wir irgendetwas tun müssten. Wir alle haben doch irgendwann einmal von diesem freien, wilden Pferd geträumt, das uns an unsere Flügel erinnert, die wir manchmal in uns selbst nicht finden können. Wir wollten fliegen. Frei sein. Vielleicht bist du eine dieser glücklichen Seelen, die diese Magie nie vergessen hat. Doch vielleicht wühlst du dich auch manchmal unter einem grauen Schleier hervor, um die Farbpracht wieder sehen zu können. Dann wünsche ich dir von Herzen, dass du in dem Moment dein Pferd anschaust und dich zurückerinnerst.

Janine Ulbrich Fotografie

Pferde sehen unseren Kern mit all den weltlichen Facetten, lange bevor wir uns dem selbst bewusst sind. Und vermutlich ist das auch eines deiner Bedürfnisse, die im Zusammensein mit Pferden natürlich auch Raum haben dürfen. Gleichermaßen wünschen sich unsere Pferde, als vollkommene Persönlichkeiten gesehen zu werden und hinsichtlich ihrer körperlichen, mentalen und seelischen Bedürfnisse geachtet zu werden.

Ich lade dich – und auch mich selbst – im Namen der Pferde dazu ein, dass wir einander immer öfter wahrhaftig und authentisch begegnen und keine Theorie über die Praxis stellen. Die Theorie dient lediglich der soliden Basis, die zweifelsfrei von enormer Wichtigkeit ist. Trotzdem geht es darum, gemeinsam das echte Leben zu leben und dabei möglichst viel Freude zu haben. Wir dürfen alle uns hemmenden Glaubenssätze und Überzeugungen loslassen, die uns von der gemeinsamen Freude – nennen wir sie Training – abhalten.

„Vielleicht geht’s nicht um das Was
Sondern vielmehr um das Wie
Vielleicht geht’s nicht um Physik
Sondern mehr um Phantasie
Es geht nicht ums Happy End
Sondern nur um diesen Tag
Es geht nicht drum wie laut, sondern darum, was du sagst
Es geht nicht um Besitz
Sondern drum was glücklich macht
Es geht nicht um den Witz
Sondern darum, dass du lachst

Es geht nicht darum wen
Sondern darum, dass du liebst
Es geht nicht drum wie viel, sondern darum, dass du gibst
Es geht nicht ums Gewinnen, sondern darum, dass du kämpfst
Es geht nicht um das Lied, sondern darum, dass du danced“

– Julia Engelmann

Titelbild: Christiane Heese-Hußmann

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