Freiwilliges Vorwärts – wenn Energien fließen

Das Vorwärts ist unter Pferdemenschen ein häufiges Thema. Nicht selten geht es mit Grübelfalten auf der Stirn einher, weil wir uns beinahe den Kopf darüber zerbrechen. Immer wieder wird das ein oder andere Pferd als „faul“ betitelt. Leider ist die vermeintliche Lösung dieser Gegebenheit häufig, dass die Zweibeiner mehr Druck machen, um das Pferd in Bewegung zu versetzen. So manches Pferd explodiert dadurch, viele andere werden nur noch langsamer. Dann lässt sich oft ein Aufrüsten beobachten, um doch noch ein „Argument“ zu finden, welches das Pferd zur fleißigen Mitarbeit „motiviert“. Der Mensch wird immer lauter, das Pferd immer leiser. Wohl fühlen sich am Ende meist beide Seiten nicht damit. Das freiwillige Vorwärts bezieht sich also auf ein Pferd, welches motiviert ist sich freudig zu bewegen.

Motivation

Simpel formuliert, versteht man unter dem Begriff der Motivation sämtliche Beweggründe (Motive), die das eigene Handeln anregen, lenken und erhalten. Hierbei können Menschen und Tiere intrinsisch und extrinsisch motiviert sein. Intrinsische Motivation kommt aus einem selbst heraus (Bsp: Spaß), extrinsische Motivation wird von Außen hinzugefügt (Bsp: Futter).
Ist die Lauffreude des Pferdes eingeschränkt, benötigt es also beispielsweise einen höheren extrinsischen Motivator, um die vom Menschen gewünschte Handlung in Leichtigkeit ausführen zu können. Generell sind Pferde zwar Lauftiere, allerdings gleichzeitig in der Natur auch sehr darauf bedacht, die eigene Energie sinnvoll einzuteilen und zu nutzen. Die meisten Bewegungen finden daher im Schritt statt. Jegliche schnellere Fortbewegung, wie zum Beispiel die Flucht, ist zielgerichtet ausgelegt. Unsere Pläne auf dem Reitplatz oder in der Halle sind dies häufig nicht. Es erscheint vielen Pferden wie eine Endlosschleife der Belanglosigkeit. Natürlich gibt es auch unter Pferden Spielverhalten, welches teilweise sehr energetisch abläuft, jedoch unterscheiden sich Pferde hier auch sehr in den individuellen Bedürfnissen und Vorlieben. Nicht jedes Pferd hat einen gleich ausgeprägten Spieltrieb.
Die individuelle Persönlichkeit ist also grundlegend dafür, wie hoch die intrinsische Motivation für Bewegung ausfällt. Beeinflusst wird dies zusätzlich auch durch Erfahrungen, die womöglich eine Erwartungshaltung oder eine Emotion im Pferd erzeugt und an das Thema Vorwärts gebunden haben. Intrinsische Motivation besteht aus verschiedenen Anteilen. Beispielsweise beeinflusst der Glaube an den eigenen Erfolg einer Handlung sehr die Motivation.

Eine Poolnudel kann als Target fungieren, wenn du dir Abstand zwischen dir und deinem Pferd wünschst oder wenn euch ein optischer Reiz hilft, um die Thematik spielerischer anzugehen.

Wie können wir unser Pferd also sinnvoll motivieren?

Motivation ist erstmal an sich nichts rein romantisch-positives. Auch das Ausweichen eines unangenehmen Reizes kann ein extrinsischer Motivator sein. Möchten wir jedoch Einfluss auf die intrinsische Motivation des Pferdes nehmen, bietet es sich an, mit positiver Verstärkung zu arbeiten.
Vermitteln wir dem Pferd kleinschrittig, dass sich die empfundene Mühe lohnt, ist es vorerst extrinsisch motiviert, in die Handlungsebene zu gehen. Auf Dauer können wir es erreichen, dass das Pferd an seinen eigenen Erfolg glaubt, da unsere Ansprüche in kleinen Zwergenschritten immer wieder zu Belohnung geführt haben. Zusätzlich können wir als Menschen unsere Kreativität nutzen, um die vorhandenen Stärken und Interessen des Pferdes beispielsweise zu einem Spiel zu formen, welches des Fokus von der Thematik des Vorwärts nimmt und das Ganze mit Leichtigkeit erfüllt.
So wird es Schritt für Schritt möglich sein, dass das Pferd Spaß daran entwickelt und die eigene intrinsische Motivation verändert. Es findet also im Pferd ein innerer Prozess statt, wenn wir es als Mensch schaffen, ein guter und liebevoller Motivator zu sein. Dies wirkt sich auch auf spätere neue Aufgaben aus.

Die Sache mit dem eigenen inneren Prozess

So leicht und schön das Ganze klingt, so schwer und belastend kann es sich manchmal in der Realität anfühlen, denn ein Prozess braucht Zeit und Zeit fragt immer auch nach Geduld.
Wenn wir Menschen das Ziel kennen, neigen wir dazu, es JETZT und SOFORT zu wollen oder uns ihm zumindest deutlich anzunähern. Manchmal wissen wir auch gar nicht so genau was wir wollen, was letztlich aber oftmals nichts an dem inneren Druck dahinter ändert.
Und dann stehen wir da, wirklich gewillt unser Pferd ehrlich und liebevoll zu motivieren und spüren ihn trotzdem: den Erwartungsdruck.
Er kommt manchmal nicht sofort, sondern erst nach einer Weile, wenn sich doch nicht schnell genug der Fortschritt einstellt, den wir uns erhofft hatten. Erwartungen sind uns oftmals gar nicht bewusst und trotzdem steuern sie uns in gewisser Weise, wodurch wir uns plötzlich doch enttäuscht fühlen oder merken, dass wir ungeduldig werden.
Herzlich Willkommen, jetzt sind wir mitten im menschlichen inneren Prozess, der so oder auch ganz anders aussehen kann. Da kommen uns dann Emotionen und Gedanken entgegen, die wir manchmal selbst gar nicht gerne als Teil von uns sehen möchten und dennoch sind sie da.
Hier geht es in erster Linie um Akzeptanz. Nimm an, was da ist und bewerte es nicht. Es macht dich nicht zu einem schlechten Menschen oder einem schlechten Freund für dein Pferd. Du bist einfach wie du bist und das ist genau richtig so. Manche Pferde sehen es sogar als ihre Aufgabe, uns an dieser Stelle ein Spiegel zu sein und setzen sich beispielsweise sofort in Bewegung, wenn wir es geschafft haben, die Erwartung loszulassen.
Wenn wir uns dem Thema Geschwindigkeit widmen, werden wir schnell zu dem Schluss kommen können, dass wir Menschen oftmals schnelllebig durch den Alltag eilen und unsere Pferde deutlich besser darin sind, im Hier und Jetzt zu leben. Falls wir das Thema Entschleunigung brauchen, kann es durchaus sein, dass unser vermeintlich „faules Pferd“ einfach nur sagt: „Mach mal langsam.“ und uns damit darauf hinweist, dass es um unsere eigene Entschleunigung geht. Es tut, was uns gut tun würde. Das merkst du zum Beispiel daran, dass deine Schnelligkeit dein Pferd sofort zum Bremsen animiert.
Je lauter und schneller du in dir selbst wirst, desto stiller und langsamer wird dein Pferd.

Aber es ist auch eine Typfrage, ob dein Pferd es schafft diesen Gegenpol für dich darzustellen. Andere Pferde spiegeln den Menschen auch direkt. Ein hektischer Mensch, trifft dann auf ein hektisches Pferd und ein ruhiger oder auch erschöpfter Mensch, trifft dann auf ein langsames Pferd. Wer von uns braucht gerade tatsächlich dieses Tempo, das in unserem menschlichen Kopf als Ziel festgelegt wurde?
Manchmal liegt die Antwort eben in uns selbst. Hören können wir diese nur, wenn wir entschleunigen und still werden, damit unsere innere Stimme zu Wort kommen kann, um uns die Lösung zu verraten.

„We cannot see ourselves in running water. It is only in still water that our reflection occurs.“

 

Auch körperlich anstrengende Aufgaben können Spaß machen, wenn wir ihnen mit Leichtigkeit begegnen. „Alles kann, nichts muss.“ ist immer ein gutes Motto für diese Form des Zusammenseins.

Mehr als einen Spiegel sehen

Natürlich sind Pferde aber nicht nur unsere Spiegel. Sie sind eigenständige Persönlichkeiten mit einer Geschichte und einer aktuellen Stimmungslage, die so wandelbar ist wie unsere eigene.
Demnach gehört es definitiv dazu, auch das Pferd zu verstehen. Hierbei geht es nicht darum zu beeinflussen, sondern erst einmal zuzuhören.

Was passiert bei deinem Pferd, wenn du nach Vorwärts fragst?
Zieht es die Handbremse?
Was sagt dir sein Ausdruck?
Ist es physisch und psychisch in der Lage, deinem Wunsch zu entsprechen?
Worin liegt die Dramatik, wenn es dies nicht tut, obwohl es kann?

Die Erkenntnis, dass unsere Pferde gar nichts müssen, wirkt für den ein oder anderen vielleicht befremdlich. Aber hierbei geht es nicht darum, dass man keine Grenzen und Regeln mehr aufstellen darf. Es geht vielmehr darum, dass wir Menschen lernen uns auch wieder an diese zu halten. Letztlich ist es immer ein Geschenk, wenn die Pferde uns einen Gefallen tun, denn sie müssen nicht. Sie könnten sehr vieles tun, das uns davon abhalten würde auch nur einen Wunsch äußern zu können. Wenn sie unseren Wünschen folgen, tun sie das wegen ihres reinen Herzens und nicht, weil sie müssen.
Die traurige Wahrheit liegt allerdings darin, dass viele Pferde dies nicht mehr wissen. Sie wissen nicht, dass sie nicht müssen, wenn sie nicht wollen. Sie haben gelernt, sich den Wünschen eines Menschen zu fügen, weil es keine Wünsche, sondern Befehle sind. Der Mensch ist leider in der Lage sehr hohen psychischen Druck auszuüben. Dazu muss es nicht einmal zu körperlicher Gewalt kommen, doch auch diese wird leider viel zu häufig angewandt.
Ein Teil der Arbeit mit dem Thema des freiwilligen Vorwärts ist es also, dem Pferd zu vermitteln, was freiwillig überhaupt bedeutet. Viele Pferde haben sich in ein kleines inneres Gefängnis eingepfercht, das ihnen Schutz bietet, in dem es sie vor extrovertierten Handlungen bewahrt. Sie stellen sich förmlich tot und halten aus, was auch immer im Außen passiert. Diese Form der erlernten Hilflosigkeit geht häufig auch mit Langsamkeit einher.
Lasst uns also ganz genau hinschauen, aus welchen Gründen ein Pferd sich nicht aus sich heraus vorwärts bewegen möchte.

Introversion verstehen

Durchatmen.
Natürlich ist nicht jedes Pferd in seiner Vergangenheit durch Erfahrungen in die erlernte Hilflosigkeit gefallen. Manche sind vom Charaktertyp auch einfach eher introvertiert.

Introversion und Extraversion beschreiben lediglich zwei Arten mit der Umwelt zu interagieren. Ein introvertiertes Pferd macht die Dinge eher mit sich selbst aus und geht, wenn möglich, auch in seinen Handlungen nur wenig ins Außen. Wichtig ist, dass es nicht heißt, dass diese Pferde schüchtern oder unsicher sind. Es gibt sehr selbstbewusste, introvertierte Pferde. Das sind nicht selten solche, die wenig intrinsisch motiviert sind, sich schnell zu bewegen und gleichzeitig von dieser Einstellung sehr überzeugt sind, weil sie sich ihrer selbst bewusst und dabei sehr sicher sind.
Solche Pferde profitieren sehr von einem hohen extrinsischen Motivator. Die Qualität einer extrinsische Motivation legt übrigens das Pferd fest. Ein Lob ist nur dann eines, wenn das Pferd es als solches empfindet.
Lasst uns auch hier schauen, ob wir unsere Vorstellungen in den Hintergrund rücken können, um dem Individuum Raum zu geben, um das es eigentlich gehen soll: das Pferd.

Definiere Bewegung neu und entdecke deine Begeisterung für kleine Fortschritte. Foto: Christiane Heese-Hußmann

Die Praxis des freiwilligen Vorwärts

Mit der Freiwilligkeit ist es wie mit einer Tür, auf der „ZIEHEN“ steht. Du kannst so fest dagegen drücken und hämmern wie du willst, sie wird sich nicht öffnen. Demnach ergibt es Sinn, sich zu überlegen, wie wir unsere Bemühungen in die richtige Richtung umkehren können, um der Leichtigkeit Raum zu geben.
Einige erste Schlüssel sind schon besprochen. Geduld, Entschleunigung, Kleinschrittigkeit, Motivation, Selbstreflektion und die Persönlichkeit und Geschichte des Pferdes zu sehen, sind ein paar dieser Anhaltspunkte, um die es beim freiwilligen Vorwärts gehen kann.

Genauso individuell wie die Gründe für einen vorhandenen Knoten, sind natürlich auch die Lösungen in ihrer Vielfalt grenzenlos. Diese vier Beispiele sollen dir daher auch nur einen Einblick in die Vielfältigkeit dieser Thematik geben und Inspiration für Lösungsmöglichkeiten darstellen.
Wichtig ist zu allererst das Bewusstsein, dass Energie immer da ist. Sie kann natürlich transformiert werden, dennoch dürfen wir den Glaubenssatz loslassen, dass wir unbedingt Energie hineinstecken müssen, um sie in unserem Pferd zu entfalten. Häufig geht es sogar eher um das Loslassen von solchen Gedanken.

Die Sache mit der ehrlichen Freude – Holgi

Norwegerwallach Holgi hat eine lange Vergangenheit als Schulpony, in der er sich viele Lösungen für das Problem „Reiter“ gesucht hatte. Eine tiefliegende Überzeugung in ihm war definitiv, dass Bewegung grundsätzlich nicht erstrebenswert ist.
Als ich ihn kennenlernte, war er bereits ein kleiner Streber in Sachen Tricktraining und kannte das Clickern und auch das Targettraining bereits. Trotz all der technischen Ressourcen, fehlte es am „Go“. In einigen Sessions lösten wir die Fesseln der Vergangenheit, in dem Holgis zugehöriger Mensch lernte, nicht mehr das „faule Schulpony“ zu sehen. Zusätzlich fügten wir ein emotional authentisches Verlaufslob ein, was das Leckerchen immer öfter überflüssig machte. Die Begeisterung für kleine Schritte in die richtige Richtung war ein wichtiger Punkt für Holgi, um sich gesehen zu fühlen. Futter findet er natürlich super, steht ihm aber generell durch eine schöne Haltungsform immer zur Verfügung. Die Bindung zu seinem Menschen war hier der Punkt, der ihn überzeugte. Gemeinsam strahlen erfüllt natürlich viel mehr mit Freude und Spaß.
So durfte Holgi lernen alte Erwartungen loszulassen und sein Mensch durfte lernen, nicht mehr mental zu ziehen und zu drücken, sondern loszulassen und selbst in beschwingte Vorwärtsbewegung zu kommen. Rein technisch hat es zusätzlich geholfen, Vorwärts neu zu definieren. Es ging also nicht mehr um zB das Antraben, sondern um längere oder beschwingtere Schritte im Schritt. Diese kleinen Erfolge führten letztlich zu einem Pony, das aus dem Traben häufig gar nicht mehr herauskommen möchte.

Viele Wege führen nach Rom. Eurer darf ganz bunt und anders aussehen. Es gibt kein richtig und falsch. Kein zu spät oder zu schwer. Es darf leicht sein, Zeit brauchen und noch schöner werden als es sowieso schon ist.
Wenn ich nicht daran glaube, kann ich auch nicht – Lady

Lady ist eine filigrane Stute mit viel Bewegungspotenzial. Durch ihre Vergangenheit und ihre Unsicherheit weiß sie davon allerdings, zumindest in Zusammensein mit Menschen, nicht sehr viel. Sie neigte sehr zu explosiven Verhaltensweisen, nachdem sie eine Weile wie eingefroren schien. Bei den Explosionen, die auf Druck folgten, war sie hin und wieder gestraft oder allein gelassen worden, weshalb sie keinen gesunden Umgang mit Energie entwickeln konnte.
In der ersten Zeit war es mir wichtig, dass Lady lernt eine eigene Meinung haben zu dürfen. Jedes Nein von ihr habe ich angenommen und bestärkt, in dem ich ihr den erfragten Raum gegeben habe. Nach einer Weile folgte sie auch freiwillig zum Reitplatz und zur Reithalle, wodurch es möglich war die Erfahrungen von der Weide in eine neue (und zuvor vergiftete) Lernsituation zu bringen.
Aus unsicheren Hüpfern, die alle bestärkt wurden, entwickelte sich irgendwann ein lockerer Trab, zu dem sie selten in der Lage war. Das mentale Festhalten aus Angst, hat auch eine körperliche Steifheit bewirkt, die sie nun durch ihren steigenden Selbstwert loslassen kann.
Bei ihr war es besonders wichtig vorerst kein Equipment zu verwenden, um keine alten Erinnerungen zu triggern. Wir haben also anfänglich einfach fangen gespielt und dabei Schritt genauso hoch belohnt, wie die ersten Bemühungen eines Trabs oder Galopps. Nichts davon war mehr wert, sie durfte selbst erforschen, welches Energielevel ihr gerade noch gut tut und konnte zu jeder Zeit abbrechen und nach Entschleunigung fragen.

Körper, Geist und Seele stehen immerzu in Verbindung – Amadeo

Ein weiteres Pferd, welches Grenzüberschreitungen erfahren hat, ist mein Amadeo. Er ist ein sehr gehorsames Pferd, was für mich keine erstrebenswerte Eigenschaft ist. Als er zu mir kam, durfte er die Wunder der Freiheit entdecken und mir zeigen, an welchen Stellen er mit dieser auch gänzlich überfordert war. Er entdeckt immer noch steigende körperliche und psychische Balance, die ihm dabei hilft, losgelassene Bewegung für sich nutzen zu können. Sein Muskeltonus wird niedriger und er schafft es immer häufiger wirklich über den Rücken zu schwingen und auch mental loszulassen. In der Freiarbeit am Boden war anfänglich auch ein Schnappen als Übersprungshandlung in höheren Energien ein Thema, weshalb wir mit einem Target als Abstandshalter gearbeitet haben. Ein großer Faktor ist aber definitiv auch sein Körper gewesen, dem es aus verschiedenen Gründen an Losgelassenheit fehlte. Die Schulung des Körpergefühls und der gleichzeitige Aufbau von Selbstbewusstsein war bei Amadeo der Schlüssel.
Als es vom Boden aus schon spielerischer klappte, entdeckte er auch reiterlich das „Nein“ zum Vorwärts, was ich als großen Fortschritt ansehe. So konnte ich ihm hier über ganz winzige Sequenzen mit Futter und emotionalem verbalen Lob helfen, den Bewegungsfluss neu zu entdecken. Dabei startete ich tatsächlich aus dem Stehen heraus und lobte jedes Angehen in den Schritt. Das unterbricht natürlich sofort wieder die Schrittbewegung aber genau das ist auch das Wichtige zu Beginn. Dass das Pferd wieder zurück zur Komfortzone kommen darf. Wir bauen das weiterhin aus und kommen immer, wenn wir es brauchen auch wieder zur Basis zurück. Das ist niemals als Rückschritt zu sehen.

Es geht auch nicht darum, das Equipment zu verbannen und nichts von vorher zu erhalten. Vielmehr geht es um eine Wandlung, die unabhängig vom Equipment stattfinden darf. Können wir Freiheit schenken, obwohl Zaumzeug am Pferd ist?
Egal welche Frage du stellst, die Antwort ist Liebe – Gavião

Mein Gavião ist ein absolut selbstbewusstes Pferd und generell durchaus extrovertiert veranlagt. Auf Druck reagiert er jedoch immer mit dem Werfen seines Ankers, wenn er diesen Druck als unangemessen empfindet und auch, wenn er sich selbst nicht in Balance fühlt. Viele Pferde werden langsam, Gavião kann sich auch aus dem Galopp hinlegen, wenn er meint, dass ich gerade Entschleunigung brauche, um ihm wieder zuzuhören.
Er ist ein großer Lehrmeister für mich und macht mir deutlich, dass es eben nicht immer am Pferd liegt, sondern oft auch an uns selbst. Und da mein Anspruch an mich häufig sehr hoch ist, sagt er liebendgern: „Es ist dein Anspruch. Behalt ihn doch gerne. Ich bin raus aus der Nummer.“
Ich darf mit ihm immer wieder lernen, dass ich meine (verdeckten) Erwartungen loslassen kann und jede Rückkehr zur Entschleunigung und Achtsamkeit die Zeit wert ist. Niemals geht es um Macht, um Erwartungen und darum sich durchzusetzen – es geht immer um eine Intention, die auf Liebe und Fülle beruht. Es mangelt uns an nichts und es ist völlig egal, ob wir uns gerade bewegen oder nicht. Der wichtige Prozess findet unabhängig davon statt.
Gavião schenkt mir schwungvolle Trab und Galoppsequenzen, wenn ich bereit bin, diese dankbar zu empfangen aber nicht, wenn ich diese produzieren will.
Wir arbeiten auch mit Matten, Targets und anderen Dingen aus der „Trickkiste“, die durchaus helfen. Jedoch hilft in unserer Zweisamkeit nichts mehr als Erwartungsfreiheit.
Hierbei möchte ich betonen, dass wir auch das Pferd nicht vergessen. Auch wenn wir eine starke Verbindung zu unserem inneren Prozess spüren, haben auch die Pferde ihre eigenen Themen und Gründe, weshalb es phasenweise nicht angebracht ist, in Bewegung zu kommen.

Bewegungen, die aus purem Selbstbewusstsein und Freiwilligkeit entstehen, sind letztlich die schönsten, mit denen wir manchmal gar nicht rechnen würden. Foto: Neele Heyer

Ein Schlusswort zu Beginn der Reise

Das freiwillige Vorwärts ist vielschichtig und gewiss nicht für jeden erstrebenswert. Niemand MUSS daran arbeiten. Wer sich diesem Druck aussetzt, würde dem Grundprinzip der Freiwilligkeit bereits selbst im Wege stehen und sich den Tag erschweren. Wir dürfen es uns leicht machen und wenn es „einfach“ funktioniert und uns das reicht, darf das so sein. Wir müssen es ja nicht erst kompliziert machen.
Wenn wir jedoch fühlen, dass da ein Wunsch nach mehr Leichtigkeit ist oder sich das Vorwärts generell wie Kaugummi anfühlt, dürfen wir auf allen Ebenen auf die Suche gehen, wenn wir uns darin nicht gänzlich verlieren.
Es kann ein simpler körperlicher Grund sein, wie zum Beispiel ein Laufen auf der Vorhand oder sogar Schmerzen. Es können aber auch Motivation oder gar innere Prozesse als Gründe für ein fehlendes Vorwärts vorliegen.
Oft hilft es, wenn man sich zwei unbeteiligte Augen mit ins Boot holt, deren Blickwinkel man als Inspiration betrachtet. Egal aus welchem Winkel du schaust, du wirst eine Lösung sehen können, wenn du dich ihr öffnest. Viele Wege führen nach Rom und du darfst dir – gemeinsam mit deinem Pferd – euren Lieblingsweg aussuchen.

Mach dir bewusst, dass diese Zeilen lediglich der Anfang sind von einem individuellen Prozess. Es gibt hier keine pauschalen Lösungswege und ich könnte ewig zu diesem Thema weiterschreiben. Wenn dich etwas angesprochen hat, probier es aus und wenn du eigene Erfahrungen teilen möchtest, fühle dich frei, diese Zeilen durch einen Kommentar zu ergänzen.

 

Mehr zum Thema des eigenen inneren Prozesses findest du im Buch: Gemeinsam frei – Persönlichkeitsentwicklung in der Freiarbeit mit Pferden

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